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2015

Horn Heil!

Sie heizen, bis die Kufen glühen: Hornschlittenfahrer im Hochschwarzwald. Bei den jährlich stattfindenden Rennen auf den nostalgischen Gefährten trifft Traditionsbewusstsein auf eine ordentliche Portion Humor und Selbstironie. Ein spannendes Event –und eine Riesen-Gaudi für alle Beteiligten.

Am Winterberg in Waldau ist an diesem Sonntag im Februar viel los. Einmal im Jahr pilgern Hunderte von Besuchern in das kleine Schwarzwald-Dorf mit seinen rund 400 Einwohnern, um beim traditionellen Hornschlitten-Rennen dabei zu sein. Noch ist es relativ ruhig an der Bande. Durch den Lautsprecher tönt Popmusik, ein Mann mit einem Kanister auf dem Rücken versorgt die Zuschauer mit Glühwein. Das Pistenfahrzeug saust hoch und runter, um die großen Hornschlitten nach oben zu transportieren, an den Start. Eigentlich, so erklärt der Moderator durch die Lautsprecher, ziehen eingefleischte Hornschlitten-Fahrer ihre Schlitten selbst den Berg hoch. Das gehöre dazu. Dennoch hält sich kaum einer dran. Bei Hornschlitten-Rennen geht es um Spaß und Gaudi, nicht um strenge Regeltreue. Oben am Start steigt die Spannung. Ein Fahrer schmiert noch die Kufen seines Rennschlittens, ein anderer zieht sich eine Mütze mit Elchgeweih auf. Auch Frauen und Jugendliche sind unter den Teilnehmern.

Hier oben wird der kleine, aber feine Unterschied zwischen den Schlitten deutlich: Bei manchen Modellen, den Rennschlitten, ist ein Skibelag unten angebracht und eine kleine Führungsschiene innen an den Kufen. Dadurch können die Fahrer die Spur besser halten. Originalschlitten haben diesen Zusatz nicht.

Hornschlitten beim Sprung über die Schanze beim Hornschlittenrennen in Waldau
Wie dicke Käfer hängen die schweren Gefährte für Sekundenbruchteile in der Luft, um dann wieder mit einem „Wusch“ zu landen und weiterzusausen.  -  © Ewald Föhrenbach

Hornschlitten sind große Ziehschlitten mit im weiten Schwung nach oben gebogenen Kufen, den „Hörnern“. Einst wurden sie als Arbeitsgerät verwendet – und werden es zum Teil heute noch. Mit ihnen haben die Bauern Heu von abgelegenen Hütten ins Tal transportiert oder geschlagenes Holz zum Hof befördert. Es kam aber auch vor, dass der Schlitten zweckentfremdet wurde, wie uns eine Frau unter den Zuschauern in Waldau erzählt: Sie erinnert sich, dass der Sarg ihrer Urgroßmutter auf einem Hornschlitten ins Tal gebracht wurde.

Das Heu- und Holzziehen war früher ein durchaus gefährliches Unterfangen, die Schlitten waren schwer beladen und nicht einfach zu bremsen oder zu lenken. Immer wieder gab es Tote und lebensgefährlich Verletzte.

Hornschlittenrennen in Waldau
Bei manchen Modellen, den Rennschlitten, ist ein Skibelag unten angebracht und eine kleine Führungsschiene innen an den Kufen. Originalschlitten haben diesen Zusatz nicht.  -  © Ewald Föhrenbach

Die gibt es bei den Hornschlitten-Rennen zum Glück nicht, auch wenn es dort rasant zugeht. Da kippt schon mal ein Schlitten um oder saust ins Fangnetz. Laut Daniel Ketterer, Vorstand des Waldauer Hornschlittenvereins, erreichen die Schlitten, die immer mit zwei Mann (oder Frau) besetzt sind, bei einem Rennen maximal 60 Stundenkilometer, „wenn die Fahrer viel Mut haben“. Dennoch gibt es verhältnismäßig wenig Verletzte. „Mal ein gebrochenes Bein oder ein verstauchtes Handgelenk – aber das höchstens alle zwei Jahre, wenn überhaupt.“ Die Situation, dass ein Fahrer nach einem Unfall mit nur einem Horn in der Hand durchs Ziel läuft, dürfte wohl noch nie vorgekommen sein. Das ist in Waldau nämlich Voraussetzung, dass das Rennen noch gewertet wird.

Hornschlitten-Rennen finden im Winter an verschiedenen Orten im Hochschwarzwald statt, neben Waldau unter anderem in Neustadt, St. Märgen und St. Peter. Mancherorts werden Gaudirennen veranstaltet, bei denen es, wie der Name schon vermuten lässt, um den Spaß geht. Neben der Geschwindigkeit fließt in die Bewertung mit ein, wie originell sich die Fahrer verkleidet oder ihren Schlitten ausgeschmückt haben. „Wir hatten schon jemand, der einen Hochsitz auf den Schlitten montiert hat, oder zwei Fahrer, die als Milkakühe verkleidet waren“, erinnert sich Daniel Ketterer. Und selbst bei dem traditionellen Rennen am Winterberg wird der Spaßfaktor groß geschrieben, das zeigt schon der Blick auf die Teilnehmerliste: Hier findet man Namen wie die „Don Promillos“, die „Hornithologen“ oder die „Rostkufen“.

Kreativ umgebauter Hornschlitten beim Hornschlittenrennen in Waldau
Neben der Geschwindigkeit fließt in die Bewertung mit ein, wie originell sich die Fahrer verkleidet oder ihren Schlitten ausgeschmückt haben.  -  © Ewald Föhrenbach

In der Zwischenzeit wächst auch unten den Zuschauern am Winterberg die Spannung. Die ersten Fahrer sind oben am Waldrand losgefahren. Alle warten auf den Moment, in dem der Schlitten bei der Schanze ankommt. Wenn die Fahrer das Hindernis nehmen, werden sie mit Jubel und „Horn heil!“-Zurufen belohnt. Wie dicke Käfer hängen die schweren Gefährte für Sekundenbruchteile in der Luft, um dann wieder mit einem „Wusch“ zu landen und weiterzusausen. Ein witziger Anblick.

Bei aller Gaudi ist unter den Teilnehmern auch ein sportlicher Ehrgeiz zu spüren – besonders bei den Fahrern der Rennschlittenklasse. Immerhin lockt ein Wanderpokal. Doch obwohl die Waldauer sich mächtig ins Zeug legen, gelingt es ihnen auch diesmal nicht, den Pokal nach Hause zu holen. St. Märgen ist schneller. Ärgerlich, das sind alte Konkurrenten. Aber egal, im nächsten Jahr kommt die Revanche. Gnadenlos. Echte Hornschlitten-Fahrer sind schließlich nicht zu bremsen.

Freya Pietsch ist gelernte Zeitschriften-Redakteurin in Freiburg. Wann immer es das Wetter zulässt, ist sie draußen anzutreffen – beim Joggen im Wald oder bei Ausflügen mit Familie und Freunden. Das Motto der auf Corporate Publishing spezialisierten Journalistin: Jeder Mensch und jedes Ding – und seien sie noch so unscheinbar – haben spannende Geschichten zu erzählen. Man muss nur genau hingucken und gut zuhören.

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