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Scheibenschlagen in Todtnau

Des Winters glühender Garaus

Kaum ist die Fasnacht im Hochschwarzwald zu Ende gegangen, wartet ein anderer, traditioneller Brauch auf Einheimische und Gäste: Am ersten Wochenende der Fastenzeit brennen bei Einbruch der Dunkelheit in vielen Orten die Scheibenfeuer. 

von  Stella Schewe-Bohnert , 21. Dezember 2016
  

Dabei werden glühende Holzscheiben auf Stäbe gesteckt und ins Tal geschleudert – um dem Winter endgültig den Garaus zu machen. So auch in Todtnau: Dort, wo die Rodelbahn „Hasenhorncoaster“ ins Tal saust, brennt am sogenannten ­„Funkensonntag“ mitten am Hang über dem Dorf ein großes Feuer.

„Schiibii“ ruft Stefan Dietsche laut und schleudert die an den Kanten glühende Holzscheibe den schneebedeckten Hang hinunter. „Schiiboo“ ruft es begeistert zurück, während die Scheibe immer weiter ins Tal Richtung Todtnau segelt – ein glühender Punkt am dunklen Himmel, der Ziel zu nehmen scheint auf die zwei Türme der erleuchteten Kirche im Ortskern, dann aber langsam an Höhe verliert und schließlich vor einem der ersten Häuser im Dorf landet.

Scheibenschlagen: Der Schwung ist so wichtig wie beim Golf
„Schiiboo“ ruft es begeistert zurück, während die Scheibe immer weiter ins Tal Richtung Todtnau segelt – ein glühender Punkt am dunklen Himmel.  -  © Michael Spiegelhalter

Der 28-Jährige ist ein Meister seines Fachs. Und er ist Titelverteidiger. Bereits zweimal war er in den vergangenen Jahren Scheibenkönig, will heißen: Er hat seine drei entscheidenden Scheiben am weitesten geschlagen und die schönsten und originellsten Sprüche dazu gerufen. Auch diese werden bewertet, denn schließlich geht es beim Scheibenschlagen darum, den Winter endlich auszutreiben. Mit einem Feuer, das mit seiner unglaublichen Hitze den Schnee um sich herum zum Schmelzen bringt, und mit Sprüchen wie dem von Simon Kiefer: „Schiibii, ­schiiboo. Ihr Schiibe sollt de Winter vertriebe, dass mir könne wieder drusse bliebe! Schiibii, schiiboo!“

Prasselndes Feuer beim Scheibenschlagen in Todtnau
Neben ihnen prasselt laut das Feuer, verbreitet so viel Hitze, dass wir auf Abstand bleiben müssen.  -  © Michael Spiegelhalter

Kiefer ist ein „Scheibenfeuer-Hopper“: In den Tagen und Wochen nach der Fasnacht fährt er zu so ziemlich jedem Feuer, das ihm der Schwarzwald bietet – rund um sein Heimatdorf im Wiesental, aber auch ins 26 Kilometer entfernte Todtnau, der schönen Aussicht „aufs Städtle“ wegen. „Das machen nur die, die ein bisschen angefressen sind“, lacht er. Und das ist er, seit er ein Junge war. „Mein Vater hat mich von klein auf mitgenommen“, erzählt der 25-Jährige. „Er hat gesagt ‚Komm, wir vertreiben die Geister‘ und das hat mich bis heute nicht mehr losgelassen.“

Scheibenschlagen – das ist ungefähr so kompliziert oder einfach (je nach Sichtweise) wie Golfspielen. Zumindest ist der Schwung derselbe. Zwei, drei Mal holen die Schläger mit ihren langen Haselnussstöcken aus, die frisch und noch saftig sein müssen, damit sie biegsam sind und nicht so leicht brechen. Schwingen sie mit sirrendem Geräusch zurück und wieder vor, bevor sie die glühende Buchenscheibe dann am hölzernen Scheibenbock ab- und ins Tal schlagen. Dem voraus geht ein anderer kniffliger Vorgang: Vorsichtig steckt Kiefer seine in der Mitte durchlöcherte Scheibe auf den Stock – „Der Stock darf vorne nicht rausschauen, sonst taumelt sie“ – und dreht sie hin und her, „bis es knarzt“. Dann sitzt sie richtig: nicht zu locker, aber auch nicht zu fest, so dass sie sich im richtigen Moment lösen kann.

Die Scheiben von Nahem
„Der Stock darf vorne nicht rausschauen, sonst taumelt sie“ – und dreht sie hin und her, „bis es knarzt“.  -  © Michael Spiegelhalter

Damit sie das auch wirklich tut, muss man ordentlich Schwung nehmen: „Wie wenn man jemandem mit dem Nudelholz eins überziehen will“, verrät mir Vanessa Drändle, das weibliche Pendant von Stefan Dietsche, denn seit 2006 wird in Todtnau nicht mehr nur ein Scheibenfeuerkönig, sondern auch eine -königin ermittelt; und das war sie in den vergangenen beiden Jahren. „Immer dran denken: Sie tun dem Stock nicht weh. Feste draufhauen, das ist der Trick!“

Wohlgemerkt: Vanessa ist 21 Jahre alt, klein und zierlich. „An ihr sieht man, dass man keine zwei Meter groß und muskelbepackt sein muss“, sagt Jürgen Wehrle, Oberzunftmeister der Todtnauer Narrenzünfte. Die sind es nämlich, die das Spektakel veranstalten – genauer gesagt sind es passenderweise die „Zundlmacher“, also jene Fasnachtszunft, die für alles rund ums Feuer verantwortlich ist. Sie waren es, die der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Tradition des Scheibenschlagens nach der Pause in den Kriegs- und Nachkriegsjahren wieder Leben eingehaucht haben. Bereits seit 1959 gibt es, so ist der Chronik der Narrenzünfte zu entnehmen, in Todtnau wieder Scheibenfeuer.

Die Bucheinscheibe wird am Scheibenbock ins Tal geschlagen
Die Stöcke werden mit sirrendem Geräusch zurück und wieder vor geschwungen, bevor sie die glühende Buchenscheibe dann am hölzernen Scheibenbock ab- und ins Tal schlagen.  -  © Michael Spiegelhalter

„Feste draufhauen, das ist der Trick!“

Ein alter Brauch also, der von Generation zu Generation weitergegeben wird.  Bernd Hamm etwa hat das Scheibenschlagen einst von seinem Vater gelernt, jetzt gibt er es an seine beiden Kinder weiter. „Die war gut“, ermuntert er seine Tochter Pia-Lena und blickt mit ihr der Scheibe hinterher, die sie gerade geschlagen hat. Neben ihnen prasselt laut das Feuer, verbreitet so viel Hitze, dass wir auf Abstand bleiben müssen. Ein Zitronentee wärmt von innen – nicht nur fürs Feuer, auch für „Bewirtung“ am Hang sorgen die Zundlmacher.

„Wem soll die Schiibe goh?“ rufen die Scheibenwerfer und widmen ihre Scheiben der Liebsten, der Oma oder dem Nachbarn. Einer nach dem anderen versucht sein Glück. Im Schnee am Hang sitzen Vertreter der „Zundlmacher“, verfolgen ihren Flug und bestimmen, welche Scheibe am weitesten flog. Im Februar 2015 waren es die von Oberzunftmeister Jürgen Wehrle und von Melanie Pflüger. Sie dürfen den bronzenen Pokal jetzt ein Jahr lang behalten, bevor sie ihn beim nächsten Scheibenfeuer an den nächsten Gewinner weitergeben müssen. „Einfach toll“, findet das ein Ehepaar, das aus Stralsund im hohen Norden kommt und dem glühenden Spektakel fasziniert zuschaut. „Das ist einfach eine schöne Tradition!“

Über den Autor

Stella Schewe-Bohnert war viele Jahre lang als rasende Reporterin für den Südwestrundfunk in Freiburg unterwegs. Inzwischen hat sie einen Gang runtergeschaltet und erkundet per Mountainbike, mit Wander- oder auf Schneeschuhen den Hochschwarzwald – immer auf der Suche nach einer spannenden Geschichte. Die Journalistin ist beim Badischen Zeitschriften-Verlag tätig und lebt mit ihrer Familie in Freiburg.

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