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Lasst uns anpacken!

Ein Tag lang Knecht

Die neue Lust auf Mist: Als Knecht oder Magd auf Zeit kann man das Leben auf einem Schwarzwälder Bauernhof hautnah kennenlernen – einen oder mehrere Tage lang. 

von  Patrick Kunkel , 09. Juni 2016
  

„Das macht den Kopf frei“, sagt Kirnerhofbauer Wolfgang Winterhalder vom Rudenberg im Hochschwarzwald. Unser Autor Patrick Kunkel hat den Erfinder vom ungewöhnlichen "Knecht auf Zeit" Urlaubsangebot getroffen. Ein Gespräch über Mägde, Knechte und gestresste Zivilisationsmenschen im Einklang mit der Natur.

Knecht auf Zeit - was bedeutet das genau?

Für Kost und Logis kannst Du einen Tag lang auf meinen Hof mitarbeiten und das Leben auf einem Biobetrieb im Hochschwarzwald kennen lernen. Das echte Leben meine ich.

Also werde ich Morgens um fünf aus dem Bett geworfen?

Nicht ganz. Wir haben normale Arbeitszeiten. Gleitzeit, das heißt, wir können schaffen, so lange wir Lust haben. Um halb sieben stehen wir im Stall und versorgen die Tiere: Füttern, die Boxen pflegen, in denen die Kühe liegen, und dann melken. Danach kann man frühstücken, sich stärken…

…und das erste Mal darüber nachdenken, ob das so eine gute Idee war mit dem Schuften?

Es gibt ja diese neue Lust auf's Landleben, diese ganzen Magazine „LandLust“, „Liebes Land“ und wie sie alle heißen. Darin drückt sich ja eine gewisse Sehnsucht nach dem einfachen Leben aus. Wer angefixt ist von Landlust bekommt bei uns einen Einblick in die echte Landwirtschaft und in das Leben mit der Natur und von der Natur. Er darf mit Tieren umgehen. Wir arbeiten auch noch mit Zugpferden, das ist eine ganz besondere Erfahrung und eine ganz besondere Lebenswelt.

Du meinst das einfache Leben als Gegenentwurf zum stressigen Alltag?

Ja, ich glaube schon, dass die Leute einen Gegenpol suchen zum immer schneller werdenden Arbeitsleben. Ich habe einen Freund, der in Dubai arbeitet und ständig um die ganze Welt jettet. Immer, wenn er bei mir auf dem Rudenberg ist, sagt er mir: Bitte verändere nichts. Das ist mein Ruhepol. Ich biete den Leuten einen Ausstieg auf Zeit. Hier zu sein, das macht den Kopf frei.

Sind ein paar Tage nicht ein bisschen wenig? Viele denken bei Ausstieg ja eher mal an ein paar Monate oder ein Jahr…

Ja, genau, aber vielleicht macht man lieber erstmal einen Probelauf, bevor man sich für ein halbes Jahr verabschiedet.

Es heißt: Knecht auf Zeit. Dürfen sich auch Mägde bewerben?

Ja, Knecht, Magd. Auf meinen Gutscheinen steht auch Magd. Das ist also nicht diskriminierend. Leider gibt es noch kein Genderwort: Das Knecht oder das Magd?

Knagd vielleicht?

Das Knagd! Sehr gut, das werde ich übernehmen!

Ok, ich bin dann also mal Knagd und komme einen Tag bei Dir vorbei. Wie geht’s weiter nach dem Aufstehen und Melken?

Nach dem Frühstück schaut man, was gerade anliegt. Das Wetter bestimmt den Tagesablauf. Wenn es regnet, kann ich kein Heu machen, dann wird eben der Zaun repariert. Manchmal muss man auch Feuerwehr spielen, wenn zum Beispiel der Borkenkäfer im Wald ist. Oder ein Tier ist krank, dann guckt man zuerst nach dem. Das ist ja gerade das Spannende an der Landwirtschaft. Einerseits gibt es die Routinearbeiten, andererseits ist kein Tag wie der andere. Das gehört auch zu dem Erlebnis.

Wenn Du vor die Tür gehst, was siehst Du?

Mein Hof liegt auf dem Berg, ich sehe runter ins Tal, sehe drumherum unsere Wiesen und den Wald und im Moment blauen Himmel. Im Stall stehen 32 Kühe, wir haben zwei Pferde und 40 Hühner, einen Hofhund und ein paar Laufenten.

Die Knechte oder Mägde auf Zeit bekommen den Kopf frei. Und was hast Du davon?

Mir geht es auch um Öffentlichkeitsarbeit, um ein anderes Verständnis für Landwirtschaft. Wir haben ja nicht nur mit schlechten Preisen zu kämpfen, sondern auch mit einem schlechten Image. Und außerdem: Wenn d'Leut zu mir komme, des g'fallt mir. Und es erweitert meinen Horizont. Ich würde gerne mehr reisen, schaffe es aber nicht.

Ist Bauer sein eine Berufung für Dich?

Absolut. Ich hab schon einiges ausprobiert. Ich habe als Gartenbauer gearbeitet, als Zimmermann und auf dem Bau. Alles mögliche. Ich mache auch Kabarett, die „Bure zum Alange“. Das ist ein Ausgleich. Aber die Landwirtschaft ist mein Kern, mein Mittelpunkt. Bauer sein ist meins. Wenn Berufung und Beruf z'samme komme, was willsch' noch mehr? Dann isch's rund!

Keine Zweifel? 

Ich habe immer wieder Phasen, wo ich denke: muss das sein? Da schaffst Du am Wochenende und an Weihnachten, Samschdig, Sundig, egal wann. Und dann bekommst du bloß ein paar Kröten für die Milch. Das ist eine Entwicklung, die auch viel Kollegen frustriert. Man ist in Sorge, wie das weitergehen soll.

Wie soll es denn weitergehen?

Ich bin überzeugt: Wir haben große Möglichkeiten im Schwarzwald. Die Zukunft liegt aber nicht unbedingt in der Versorgung der Weltmärkte. Wir hätten da durchaus ein anderes Potenzial, aber das muss jeder für sich entdecken. Viele gehen ja schon neue Wege. So ist der Schwarzwälder a weng, auch wenn man die Historie verfolgt. Aus der Not raus wurden Innovationen geschaffen. Da müssen wir uns immer drauf besinnen. Ich hoffe, das Projekte wie „Knecht auf Zeit“ dazu beitragen, das nach außen zu vermitteln.

Was bedeutet Heimat für Dich, der Begriff ist ja genauso in Mode wie die neue Lust am Landleben?

Heimat ist, da, wo man mich versteht. Heimat ist ein besonderes Gefühl für mich. Bei meinen Reisen war ich auch an Orten, wo ich mich gleich heimisch gefühlt hab. Aber wenn ich z'rückkumm in mein Tal, in die Berge und den Wald: Des isch meine Heimat! Der Platz wo wir sind, der ist für mich absolut lebenswert. Und das zu erhalten, dafür kämpfe ich auch seit Jahren auf verschiedenen Arten und Wege.

Gut zu wissen

Wer Interesse hat, Knecht oder Magd für einen Tag auf dem Kirnerhof zu werden, schreibt einfach eine E-Mail an Wolfgang Winterhalder oder ruft ihn an. 

Telefon: 07651 2670
Mail: info@kirnerhof.de

Zur Person:

Kirnerhofbauer Wolfgang Winterhalder ist Landwirtschaftsmeister und bewirtschaftet zusammen mit seinen Eltern den Hochschwarzwälder Bioland-Bauernhof Kirnerhof in Titisee-Neustadt. Abends tauscht er gelegentlich Melkschemel und Mistgabel mit Mikrofon und Ziehharmonika und bringt gemeinsam mit seinem Kompagnon Niki König als die „Bure zum Alange“ (Bauern zum Anfassen) „garantiert BSE-freie Buregaudi“ auf die Bühne. 

Internet: www.kirnerhof.de

Über den Autor

Patrick Kunkel ist Reisejournalist aus Freiburg im Breisgau. Am liebsten erkundet er die Welt mit dem Fahrrad oder mit Wanderschuhen an den Füßen. Er lebt und arbeitet derzeit in Bilbao, Nordspanien und reist von dort regelmäßig in seine Lieblingsregion – den Schwarzwald. Folgen Sie Patrick auf Google+

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