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Uns zieht's hinab in den „Urwald von Morgen“

„Im Zweribach da hinten“

Im Herrgottswinkel des Schwarzwalds gibt’s eine Ecke, die ist so wild, steil und urwüchsig wie kaum eine andere im Hochschwarzwald. Eine Wanderung durch den verwunschenen Bannwald am Zweribach – Klettern, Wasser, Abenteuer!

von  Patrick Kunkel , 17. Mai 2013
  

Lang war dieser Schwarzwald-Winter, so lang, dass jetzt noch, Ende April, die Wiesen rund um den Plattenhof mehr gelb als grün sind. Nun aber streift ein lauer Wind über die Bergflanken, treibt die Wolkenfetzen Richtung Kandelgipfel und schmilzt die letzten weißbraune Flecken hartgebackenen Firns am Waldsaum. Wir laufen auf einem engen Asphaltsträßchen, das erst in einen Schotterwerg mündet, um kurz darauf zum schmalen Steig zu werden. Dann ein Schild. „Bannwald“ steht darauf. Und dass hier "der Urwald von Morgen“ entsteht. Dazu eine Telefonnummer der Bergrettung. Dahinter krümmt sich der Pfad in steilen Schleifen zwischen kräftigen Baumstämmen den Hang hinab.

Mit dem Bus sind wir in der Früh von St. Peter heraufgekommen. Um kurz vor zehn standen wir dann, die leichten Tagesrucksäcke auf dem Rücken, mitten im Wald auf der Kandelstraße. Neuwelt heißt der kleine Weiler und von dort aus stapften wir eine halbe Stunde lang bergan auf der kleinen steilen Straße. Keine Autos, dafür gluckerte der Glotterbach fröhlich in den vom Schmelzwasser noch satten Matten. Weit verstreute Einzelhöfe prägen die Kulturlandschaft hier oben, so wie sie es seit Jahrhunderten tun, nur dass die Walmdächer heute anstatt mit Schindeln oder Stroh mit Ziegeln gedeckt sind – und so manch eines trägt eine moderne Solaranlage. Über den Urgraben erreichten wir die Hochfläche, die Platte oberhalb von St. Märgen und St. Peter, die kurz hinterm aufgestauten Plattensee jäh ins Simonswäldertal abfällt. Und auch uns zieht's hinab in den „Urwald von Morgen“!

Kletterpartie beim Wandern im Schwarzwald
Die Kinder lieben die Kletterpartie. Der Fels unter den Füßen ist glitschig und nass, umgestürzte Bäume rotten vor sich hin, riesige, nackte Wurzelteller ragen knorrig in die Luft.  -  © Patrick Kunkel

Hier krallen sich kleine Gütle an den Steilhang, hier rauscht der Zweribach ins Tal: „Eis und Schnee und Wasser haben da einen Dumpf, dort einen Ebel in den Hang gedrechselt und gehobelt, daß kleine runde See sich bildeten, von denen aber nur noch etwa ein Moos übrig geblieben ist. Auch im Zweribach haben Eis und Schnee und Wasser ihr Werk getan und ein wildes Tal in den Berg genagt; sie haben dem Berg das Fleisch ab den Knochen geschunden, daß die blutten Schrofen heute noch herausstehen.“ So hat der alte St. Märgener Förster Fritz Hockenjos in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts in einem kleinen Büchlein den Zweribach beschrieben: „Ein häldiges, steiniges Loch“, schrieb Hockenjos damals – und so ist es bis heute „im Zweribach da hinten“.

Das Buch steckt in der Seitentasche des Rucksacks und wenn wir an einer besonders lauschigen Stelle rasten, ziehe ich es aus der Tasche und einer liest vor. Acht Gütlein hätten sich ab dem 16. Jahrhundert in der unwirtlichen Gegend angesiedelt. Als der Schwarzwald ringsum längst erschlossen und gerodet gewesen war, vergab das nahe Kloster St. Peter in seinem Gebiet Siedlungsrechte in den bisher wenig berührten Urwäldern des Zweren- und Wildgutachgebietes – an Osttiroler Holzfäller, die bis das Holz für die Eisenschmelze im Simonswäldertal schlugen, weshalb die steilen Hänge alsbald vom Wald entblößt dalagen. Das Leben war hart: „Die drunten am Bach sahen knapp eine Zaine voll Himmel über sich und mangelten die Sonne vier Monate im Jahr. Die droben an der Halde hausten in den Schrofen und mußten die Kinder anbinden, daß sie nicht hangab rollten.“

Über dem mittleren Fall des Zweribachs, wo das Wasser rauscht und spritzt, führt eine eiserne Brücke.
Über dem mittleren Fall des Zweribachs, wo das Wasser rauscht und spritzt, führt eine eiserne Brücke.  -  © Patrick Kunkel

Heute ist der felsige Steig mit Geländern und an manchen Stellen mit Stahlseilen gesichert. Wir kraxeln den steilen Weg bergab, der entlang der zerfurchten Halde führt. Die Kinder lieben die Kletterpartie. Der Fels unter den Füßen ist glitschig und nass, umgestürzte Bäume rotten vor sich hin, riesige, nackte Wurzelteller ragen knorrig in die Luft. Eine große Tanne ist abgeknickt wie ein Streicholz, der tote Wipfel ruht auf moosigen Felsen. Über dem mittleren Fall des Zweribachs, wo das Wasser rauscht und spritzt, führt eine eiserne Brücke.

Lichtung im Hochschwarzwald
Auf einer lieblichen Lichtung mit Schutzhütte und Kapelle stand einst der Brunnenhof, ehe er 1984 – längst nur noch als Ferienhaus genutzt – abbrannte.  -  © Patrick Kunkel

Dass der Wald wieder so „dicht wie ein dunkler, zottiger Pelz“ ist, haben wir auch dem alten Förster Hockenjos zu verdanken, der dafür sorgte, dass das Gebiet seit den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts von der Waldwirtschaft verschont blieb und 1970 sogar als Bannwald ausgewiesen wurde – wo Säge und Axt verbannt sind und alles der Natur überlassen ist. Manche der alten Güter sind im Lauf der Zeit verfallen, manche abgebrannt. Wir sehen Mauerreste im Wald, Haufen von Lesesteinen, die anzeigen, dass dort einmal Feld gewesen war. Auf einer lieblichen Lichtung mit Schutzhütte und Kapelle stand einst der Brunnenhof, ehe er 1984 – längst nur noch als Ferienhaus genutzt – abbrannte. Wir kraxeln wieder ein Stück bergan, über hohe Felsstufen und kleine Stege. Vom Hohwartsfelsen sehen wir weit übers hintere Wildgutachtal, ringsum wogt ein endloses Wäldermeer und ganz klein in der Tiefe liegt unser Rastplatz von vorhin, der Brunnenhof, als hellgrüne lichte Insel im dichten Waldpelz. 

Einer zaubert roh geräucherte Burebratwurst, Speck, Käse und Brot aus dem Rucksack. Das Vesper schmeckt gut, aber auch gefährlich, so nah am Abgrund des Hohwartsfelsen. Hier herauf geht es nur über einen steilen Pfad, der am anderen wilden Bach dieses Tals entlangführt. Der Hirschbach, schreibt Hockenjos, „hat dem Zweribach vollends geholfen, das Loch zu zerwühlen und zu zernagen.“

Kletterpartie am Hirschbachfall im Schwarzwald
Es ist eine rechte Kletterpartie am Hirschbachfall, steil, schroff und wild. Hinter einem Holzsteg  verliert sich ein alter, aufgegebener Trampelpfad ohne Markierung im Gehölz, den kaum noch einer geht.  -  © Patrick Kunkel

Es ist eine rechte Kletterpartie am Hirschbachfall, steil, schroff und wild. Hinter einem Holzsteg  verliert sich ein alter, aufgegebener Trampelpfad ohne Markierung im Gehölz, den kaum noch einer geht. Doch weiter oben liegt versteckt ein Gutshof im Wald, auf einer Lichtung in den Steilhang gebaut. Schindeln, Walmdach und rundum Matten fürs Vieh – ein stattliches Haus, das heute den Namen des alten Försters trägt: Fritz-Hockenjos-Gut. Einst hieß es Geschwandersdobelgut und man kann es heute vom Badischen Familienferienwerk mieten. Wir  erinnern uns an den vergangenen Winter, als wir dort mit Freunden, Kindern und Kegel bei Schneewehen, minus 15 Grad und zugefrorenen Leitungen saßen und den schönsten Winter seit langem hatten. Der Wanderweg im Hochwald war eine Loipe, der Zwerifall bizarr gefroren und die Nächte klar, sternenhell und eiseskalt, so dass man es kaum fünf Minuten draußen ausgehalten hat. Am Kapfenberg bauten wir am Tag eine Schneeburg – und genau da stehen wir jetzt wieder. Auf Gras, weil der Schnee längst weggetaut ist. Über uns spannt sich der blaue Himmel, die Luft ist frisch und rein, die Sonne wärmt. In der Ferne grüßt der Feldberg. 

Wir sitzen vor der Kapfenkapelle auf einer Holzbank. „Da liegen unter dem vorgewölbten unbewaldeten Kapf rechts und links auf der Hochfläche die beiden alten Klostersiedlungen St. Peter und St. Märgen, der Herrgottswinkel des Schwarzwalds, mit den Bauernhöfen, die zwischen Wald und Matten verstreut sind“ - so sah Fritz Hockenjos die Landschaft. Und so erscheint sie uns auch heute noch. Die Hochweiden zwischen den eingeschnittenen Tälern wellen sich lieblich und sind so viel sanfter und grüner als die Halden hinten im Loch des Zweribachs. In St. Märgen wartet schon der Bus – aber einfach ist es nicht, sich jetzt loszureißen und an den Abstieg zu machen, das wusste auch schon der alte Förster: „Da stehen die Leute aus der Stadt bei der Kapfenkapelle und werden so bald nicht fertig mit Schauen.“ Wie recht er doch hatte.

Gut zu wissen

Wanderungen am Zweribach:

1) Streckenwanderung

Start: Neuwelt, St. Peter
Ziel: St. Märgen, Goldene Krone
Länge: 11,5 km, Aufstieg: 370 m, Abstieg: 420 m
Route: Neuwelt, Plattenhof, Zweribachfall, Brunne, Hirschbachfall, Hohwartsfelsen, Gschwandersdobel, Kapfenkapelle, St. Märgen
Anfahrt: SGB-Bus

2) Rundwanderung

Start und Ziel: Plattenhof, St. Peter
Länge: 7,5 km, Aufstieg und Abstieg: 260 m
Route: Plattenhof, Zweribachfall, Brunne, Hirschbachfall, Hohwartsfelsen, Gschwandersdobel, Jockenhof, Schönhöfe, Plattenhof
Anfahrt: PKW

Einkehr: 

Plattenhof, St. Peter, Tel: 07660 864
Café Goldene Krone, St. Märgen, Tel: 07669 9399988 

Literatur, Infos und Karten:

Fritz Hockenjos: „Wäldergeschichten. Aus dem Herrgottswinkel des Schwarzwalds,“ 3. Auflage 1994, Freiburg

Freizeitkarte 505, Freiburg – Kaiserstuhl 1:50.000

Über den Autor

Patrick Kunkel ist Reisejournalist aus Freiburg im Breisgau. Am liebsten erkundet er die Welt mit dem Fahrrad oder mit Wanderschuhen an den Füßen. Er lebt und arbeitet derzeit in Bilbao, Nordspanien und reist von dort regelmäßig in seine Lieblingsregion – den Schwarzwald. Folgen Sie Patrick auf Google+

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In diesem Artikel erwähnt

Tour Kategorie  Rundtour

Durch den mystischen Bannwald zum Zweribach-Wasserfall

  • Schwierigkeit
    schwer
  • Strecke
    12 km
  • Dauer
    4 h
  • Aufstieg
    445 m
  • Abstieg
    445 m
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