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Ein Schwarzwaldhaus ohne Kachelofen? Undenkbar!

Öfen von einst

Ein Schwarzwaldhaus ohne Kachelofen und Ofenbank? Undenkbar! Der Ofen mit seiner "Kunscht", der beheizten Ofenbank, war in den alten Schwarzwaldhäusern nicht nur die wärmste Ecke, sondern oft auch Arbeitsplatz oder Schlafgelegenheit. Und vor allem der gemütlichste Ort im Haus, an dem an langen, dunklen Winterabenden die alten Legenden weitererzählt wurden . . .

von  Patrick Kunkel , 07. März 2014
  

"Ich habe dich so lieb! 
Ich würde dir ohne Bedenken 
eine Kachel aus meinem Ofen schenken.“
aus einem Gedicht von Joachim Ringelnatz.
Die Wasserleitungen waren eingefroren und das Klo ein Eisklotz. Das Thermometer zeigte Minus 17 Grad: Winter im Hochschwarzwald. Vor zwei Jahren war das und wir verbrachten gerade mit Freunden und einem Schwarm Kinder ein paar Tage im einstigen Geschwandersdobelgut, einem alten Schwarzwaldhof im Bergwald bei St. Peter.

Alles drängte sich um den großen, grünen und vor allem heißen Kachelofen in der Stube, während der Wind draußen schneidend kalt um die schindelgedeckten Hausecke fauchte. Außer Küche und Stube waren die anderen Räume im Haus nicht beheizbar, so wie bei allen alten Schwarzwaldhäusern. Der Schnee türmte sich hinterm Haus bis zur Dachtraufe und trotz des blauen Himmels und Sonnenscheins konnte man sich nicht lange ins Freie wagen, so kalt war es. Und doch einer der schönsten Winter seit langem. Der Kachelofen war der heimliche Star: Das Wärmezentrum im ansonsten durchgefrorenen Haus! Die Plätze auf der Bank waren heiß umkämpft.

Die Härte des Winters auf dem Wald bekamen wir dort oben eindrücklich, wenn auch in erträglicher Dosis zu spüren. Denn wir kehrten ja nach ein paar Tagen wieder in unsere zentralbeheizten Stadtwohnungen zurück. Die Menschen dagegen, die einst hier lebten, hatten diese Wahl nicht. Generationen von Bauernfamilien mussten das Wetter nehmen, wie es kam – und oft genug kam es mit ungeheurer, ganz und gar nicht gemütlicher Wucht.

Doch sie hatten ja den Kachelofen! Auf den rauen Schwarzwaldhöhen war diese Art der Heizung noch bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts Annehmlichkeit und eine Art Lebensversicherung zugleich. „Ein Schwarzwaldwinter dauerte oft vier, fünf Monate“, sagt Thomas Hafen, Volkskundler und wissenschaftlicher Leiter des Freilichtmuseums Vogtsbauernhof im Kinzigtal. In der warmen, geheizten Stube habe sich das Leben abgespielt, hier, im flackernden Dämmerlicht unzulänglicher Funzeln, wurden an langen Abenden die alten Geschichten und Legenden weitererzählt, derweil die nassen Kleider am Gestänge über'm Ofen trockneten.

Und nur in der Wärme konnten die für das Überleben des Hofs so wichtigen winterlichen Reparaturaufgaben verrichten werden: Korbmachen, Nähen, Spinnen oder Kesselflicken – dank Ofen ohne klamme, kalte Hände. „Der Kachelofen war immer auch das familiäre Zentrum des Bauernhauses“, sagt Hafen. „Es gab keinen Fernseher und kein Handy und kein Internet. Es war die große Zeit der Geschichtenerzähler.“ Der beste Platz dazu war am Kachelofen und die Ofenbank war die Bühne.

„Wer an eine typische Schwarzwaldstube denkt, hat sofort auch einen Kachelofen vor Augen“, sagt Hafen. Es ist ein Bild, das ein wohliges Gefühl erzeugt, eines von Wärme und Gemeinschaft, von Winternächten mit Geschichten, die auf der warmen Ofenbank sitzend zum Besten gegeben werden. Wohl auch deshalb gehören die Kachelöfen mitsamt ihrer einladenden und gemütlichen Ofenbank heute zu den Sinnbildern des Schwarzwalds wie der Bollenhut, das Walmdach oder der Herrgottswinkel. Da werden Sehnsüchte wach und man denkt sofort an armlange Holzscheite, die erst im Ofenloch knisternd verbrennen, um noch Stunden später wohldosiert Wärme und Geborgenheit zu spenden – sind das nur unsere zivilisationsmüden Vorstellungen einer längst vergangenen, heilen Welt, eine retrospektive Utopie? Sehnsuchtsvoll verklärende Ofenromantik?

„Stellen Sie sich vor, es ist überall im Haus kalt, draußen liegt Schnee und die Böden sind gefroren. Es gibt keine Arbeit, die Felder geben nichts her. Man ist gefesselt an das Haus, über Wochen und manchmal Monate hinweg“, sagt Hafen: „Es war eng und es gab sicher oft auch Spannungen. Die soziale Nähe, die im Rückblick so anheimelnd wirkt, bedeutete ja immer auch soziale Kontrolle. Dennoch müssen die Menschen diesen warmen Raum als ein besonderes Geschenk empfunden haben. Die Stube und vor allem der Ofen hatte neben seiner eigentlichen Funktion mit Sicherheit auch eine mythische Kraft. Psychologisch gesehen geht es ja auch um die Bändigung des Feuers – und dieser Mythos wirkt bis in die Gegenwart. Warum wohl sind Öfen und Kamine heute so beliebt?“

Erst die Beherrschung des Feuers hat den Menschen die permanente Besiedlung von Regionen nördlich der Alpen ermöglicht, die ohne künstliche Wärmeerzeugung unbewohnbar wären. „Die Vielfalt der Heiztechniken zwischen dem Nordpol und Nordafrika ist enorm,“ sagt Hafen: „Vom einfachen Feuer über die offene Herdstelle bis zum Ofen, es gibt tausende Materialen und tausend verschiedene technische Formen.“

„Die Einführung des Kachelofens markiert einen nicht zu unterschätzenden Wendepunkt innerhalb der Entwicklung der europäischen Wohnkultur“, sagt der Volkskundler Matthias Henkel, der die Geschichte des Kachelofens untersucht hat. Die ersten Exemplare standen vermutlich in den Stubenecken und wurden von vorn beheizt. Etwa im Verlauf des 13. Jahrhunderts entwickelte sich der Hinterlader-Kachelofen, der von der Küche aus, also von hinten eingeheizt wurde. Damit habe eine Heiztechnik zur Verfügung gestanden, „die erstmals in größerem Maßstab eine mehr oder weniger rauchfreie Beheizung von Räumlichkeiten ermöglichte“, betont Henkel – eine Revolution des Wohnens! Denn nicht nur die Brandgefahr wurde verringert: „Das Einraumhaus mit der offenen Herdstelle hatte ausgedient“, sagt Henkel, „denn durch den zunehmenden Ausbau der oberen Geschosse zu Wohn-, Schlaf- und Lagerzwecken konnte der Rauch nicht mehr frei durch den Giebel abziehen – sonst wären die Leute im Schlaf ja an Rauchvergiftung gestorben.“

Ehe im Schwarzwald im 15. Jahrhundert die ersten Kachelöfen auftauchten, wurden die Häuser mit weniger effizienten Lehmöfen oder mit Steinöfen beheizt, weiß Ofenbaumeister Alois Bögner aus Hofstetten im Kinzigtal. Der Ofensetzer und seine Mitarbeiter haben die meisten der alten Kachelöfen rekonstruiert, die es im Museum Vogtsbauernhof zu sehen gibt. „Der Kachelofen ist fest verankert in der Schwarzwälder Tradition, bis heute“, sagt Bögner, dessen kleine Firma jedes Jahr an die 80 Kachelöfen setzt: „Immer öfter werden wir beauftragt, ganz traditionelle Öfen zu errichten, so wie sie einst in den alten Schwarzwaldhäusern standen.“

Im „typischen“ Schwarzwaldhaus existierten Kachelofen und Räucherküche allerdings bis ins 20. Jahrhundert nebeneinander. Der heiße Rauch, der den Stubenofen beheizte, zog durch die offene Feueröffnung in der Küche wieder ab, in der Heizkammer des Ofens wurde oft auch Brot gebacken: „Im Küchengewölbe waren die Rauchstangen befestigt, an denen Schinken, Würste oder Kräuter hingen, eben alle Lebensmittel, die durch den Rauch konserviert wurden“, erklärt Hafen: „Die Stube blieb damit rauchfrei, was die Lebensqualität in den Häusern erheblich verbesserte.“

In den alten Zeiten waren Kachelöfen in allen schwarzwälder Haustypen verbreitet, vom Tagelöhnerhaus bis hin zum prächtigen Gutshof. Im Freilichtmuseum Vogtsbauernhof kann man sich die alten Stücke anschauen, die aus allen Ecken des Schwarzwalds stammen und freilich so alt gar nicht sind: „Ein Kachelofen hält wenn es gut geht 50 Jahre“, sagt Ofensetzer Bögner, allerdings werden und wurden ausgebrannte Öfen nicht einfach entsorgt, sondern wieder hergerichtet – so wie die prächtigen Exemplare im Kinzigtäler Freilichtmuseum.

Früher drückte sich in den Öfen auch das soziale Gefälle aus: Tagelöhnern musste ein einfacher Kasten mit einer schlichten Holzbank genügen. Die Öfen reicher Bauernfürsten waren dagegen größer und prächtiger. „Wenn ein Kulturgut so verbreitet ist, dass es sich jeder leisten kann, muss die Schicht, die sich für die bessere hält, zeigen, dass sie sich mehr leisten kann.“ Aber das ist heute ja nicht anders.

Besonders eindrucksvoll, vor allem aber einladend, sind die „Kachelkünste“, also jene beheizbaren, mit Kacheln verkleideten Ofenbänke, die im ganzen Schwarzwald verbreitet waren - und sind: „Diese beheizbaren Bänke wurden früher relativ hoch gebaut, weil man damals Angst hatte, warme Abgase nach unten zu leiten“, so Hafen. Die oft zweistöckigen Sitzbänke waren ebenso praktisch wie beliebt: „Wenn hoher Besuch da war, bot man den Platz auf der Kunst an. Aber auch Alte oder Kranke wurden oft auf diese zusätzlich beheizbare Bank verfrachtet,“ sagt Hafen. Öfen mit Kunst sind auch heute wieder enorm gefragt. Kein Wunder, einen gemütlicheren Ort gibt es wohl kaum.

Über den Autor

Patrick Kunkel ist Reisejournalist aus Freiburg im Breisgau. Am liebsten erkundet er die Welt mit dem Fahrrad oder mit Wanderschuhen an den Füßen. Er lebt und arbeitet derzeit in Bilbao, Nordspanien und reist von dort regelmäßig in seine Lieblingsregion – den Schwarzwald. Folgen Sie Patrick auf Google+

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