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Beim Eseltrekking wird Wandern mit Kindern plötzlich ganz unbeschwert

Spring, Bungee, spring!

Bungee liebt Disteln. Büschelweise rupft sie die stachligen Pflanzen vom Wegrand, um diese sodann freudig zu zermalmen – man muss das selbst nicht nachvollziehen können, geschmacklich, aber Bungee ist eine 24 Jahre alte Eselstute und da gelten nun mal andere Maßstäbe.

von  Patrick Kunkel , 28. Oktober 2014
  

Bungee mag auch saftiges Gras, duftende Kräuter und frische, grüne Triebe. Und leider gibt es all diese Dinge im Hochschwarzwald rund um den Feldberg im Übermaß. Weswegen Bungee und ihre Kollegin Ida öfter mal stehen bleiben, um sich an Ort und Stelle einen kleinen Eselsnack zu rupfen. 

Mich macht das ungeduldig, schließlich wollen wir ja Eselwandern. Seit drei Stunden sind wir schon mit den beiden Eselstuten mitten im schönsten und steilsten Hochschwarzwald unterwegs. Vier Tage lang wollen wir von Hütte zu Hütte wandern. Und eines ist jetzt schon klar: Stehenbleiben, gemütlich was fressen, noch ein bisschen länger stehenbleiben und dann, wenn man schon mal hier ist, noch mehr fressen. Das etwa sind die Lieblingsbeschäftigungen eines Esels. 

Im Grunde ist das mit Kindern ja exakt das gleiche – „Papa, ich hab' Hunger.“, „Papa, wann gibt es die Schokolade.“ „Papa? Papa? Paaapaaa! Ich. Will. Jetzt. Pause. Machen.“ Und wohl genau deshalb sieht meine Tochter Maj, sieben Jahre, die Sache so gelassen: 

„Maj, wie findest du es, dass Ida so oft stehen bleibt, und Gras frisst?“
- „Finde ich gar nicht schlimm.“
„Und was machst Du, damit sie weitergeht?“
– „Dann ziehe ich sie und gehe mit ihr auf die Seite. Die Ida ist schon netter geworden.“

Am frühen Vormittag sind wir auf dem Hof von Uta Reese losgelaufen, zwei Erwachsene, drei Kinder, zwei Esel. Uta ist Landwirtin und Eselzüchterin. Sie wohnt in einem knorrigen, alten Schwarzwaldhaus, das sich auf 850 Metern Höhe an einen steilen Berghang weit oberhalb von Oberried schmiegt. Der Häusleberghof liegt inmitten von Gemüse- und Kräuterbeeten, blumigen Weiden und struppigen Wäldern. Übers Tal hinweg blickt man auf den Feldberg und die umliegenden Schwarzwaldberge – eine umwerfende Aussicht! Zwei Kühe grasen auf der Koppel hinter dem Haus – und fünf Esel, die Uta für ein- oder mehrtägige Wanderungen vermietet. Daneben leben auf dem Hof vier Katzen, zwei Hunde, eine Schar Gänse, Hühner, Pferde, Wollschweine und Steinschafe. Strom gab es dort noch bis vor wenigen Jahren nicht, sagt Uta, und auch sonst geht es dort oben sehr spartanisch zu, fast ein wenig so, als sei das Haus direkt aus dem 17. Jahrhundert in unsere Gegenwart verpflanzt worden.

Das graue, lange Haar hat Uta zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden, sie lacht viel und ihre Esel behandelt sie ebenso liebevoll und zärtlich wie energisch: „Esel sind sehr soziale Tiere, sie sind Herdentiere und wenn es laufen soll, dann müsst ihr am ersten Tag eine Herde werden“, erklärt sie. Der Esel wolle laufen, von Natur aus, was uns gefällt, denn das wollen wir auch: Laufen. „Der Unterschied ist, dass der Esel losläuft, um Nahrung zu finden, aber ihr müsst heute Abend auf der Hütte ankommen. Ein Esel versucht immer, die Führung zu übernehmen – aber das wollt ihr natürlich nicht. Ihr seid die Alphatiere in der Herde!“

Diese Worte klingen noch nach, als wir eine Stunde später auf einem schmalen, steilen Wanderpfad laufen, der hinauf Richtung Feldberg führt, den höchsten Berg des Hochschwarzwalds. Selbst auf steinigen Wegen sind die Esel viel trittsicherer als wir und lassen sich von uns dahergelaufenen Städtern nichts vormachen. Bloß gurgelt ein paar Meter vor uns ein kleiner Bach quer über den Pfad und fließendes Wasser scheinen Esel ebenso zu mögen wie lästige Stechmücken. Bungee, die den Weg gut kennt und offenbar schon weiß, was auf sie zukommt, bleibt stehen und da hilft kein Schieben, kein Ziehen und gutes Zureden sowieso nicht. 

Zwei Wanderer, Einheimische, kommen vorbei, grüßen freundlich und lachen: „Eure Esel kennen wir. Da müsst ihr zeigen, wer der Chef ist!“ In solchen Situationen dürfe man auch energischer werden, hatte uns Uta mit auf den Weg gegeben: „Wenn es um die Wurst geht, müsst ihr dem Esel die Entscheidung abnehmen, damit die Herde weiterkommt und ihm notfalls kräftig eins auf den Popo geben. Keine Sorge, die müssen danach nicht zum Eselpsychologen. Eine Leitstute macht das auch. Esel sind miteinander sehr klar. Ein bisschen ruppig, aber eindeutig.“ Wir versuchen es energisch. Und siehe da, die Herde zieht weiter.

Eselwanderung im Schwarzwald mit der Familie
© Patrick Kunkel

Das Stehenbleiben sei, so meinte Uta Reese, evolutionär bedingt. Der Esel stamme ursprünglich aus steinigen und unwegsamen Wüstengegenden: „Wer bei Gefahr losrennt, stirbt entweder an einem Kreislaufkollaps wegen der Hitze oder bricht sich zwischen den Felsen die Beine.“ Esel sind also nicht bloß störrisch, sondern schlau! 

Jeder Esel trägt zwei Packtaschen auf dem hölzernen Sattelgestell. Mehr als 30 Kilo Gepäck sollte ein Esel nicht tragen – „was aber nicht heißt, dass Eure Kinder nicht ab und zu einmal drauf dürfen“, so Uta Reese. Sie genießen die kurzen Ritte, doch meist führen sie die Esel abwechselnd am Strick. Die Tiere trotten gemächlich zwischen bemoosten Schwarzwaldbäumen daher und geben so ein entspanntes Tempo vor. Wandern mit Kindern ist stets etwas heikel, doch mit Packeseln funktioniert es wie von selbst. „Ich finde es ganz toll“, sagt Maj, „und ohne Ida finde ich es gar nicht toll. Immer, wenn ich bei Ida bin, da merke ich gar nicht, dass wir bergauf gehen.“

Und Höhenmeter gibt es heute reichlich. Erst zieht unsere Karawane steil bergab ins Tal nach Oberried, um dann in weiten Schlaufen auf schmalen Pfaden hinauf Richtung Erlenbacher Hütte zu stapfen. Unser Übernachtungsziel liegt ein Stück unterhalb des Feldberggipfels; der schindelverkleidete Gasthof ist umgeben von einer Hochweide, auf der zwischen 1100 und 1300 Metern Höhe seit Jahrhunderten eine Weidegemeinschaft der hiesigen Dörfer den Sommer über Vieh hält. Die Kinder sind nach 13 Kilometern Fußweg weder müde noch quengeln sie. Im Gegenteil: Erst noch die schweren Packtaschen und Sättel runter, dann Fellpflege und Hufpediküre – alles ohne Murren. Danach dürfen die beiden Esel auf die Weide und mit einem lauten „I-aah“ verziehen sich Bungee und Ida. 

In der Erlenbacher Hütte empfängt uns Karin Brüstle, die mit ihrem Mann die Bergbeiz betreibt. Als Herder versorgen sie den Sommer über gut 120 Jungrinder, die auf den Magerwiesen rund um das Haus grasen. Weil einer der neun Kinder von Karin eine mongolische Frau geheiratet hat, kann man hier, mitten im Schwarzwald, in einer mongolischen Jurte schlafen, einem geräumigen, runden Zelt aus Filz mit Holzboden, gemütlichen Betten und einem eisernen Kanonenofen in der Mitte, der bis vor ein paar Jahren noch eiskalte Nächte in der fernöstlichen Steppe wärmte. 

Doch zuerst das Abendbrot: Karin tischt uns Bibiliskäs mit Brägele auf, ein würziger Hochschwarzwälder Frischkäse mit Bratkartoffeln. Utas Esel kennt sie gut: „Bei uns schlafen oft Eselwanderer. Manche kommen aber auch ohne Esel an“, sagt sie und erzählt uns mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen die Geschichte einer Wanderin, die an einem Esel verzweifelte, der partout nicht mehr weiterwollte: „Sie wollte ihn mit Vorsingen zum Weiterlaufen bringen. Das hat natürlich nicht funktioniert.“

Wir sind dagegen eine gut eingespielte Herde geworden. Am nächsten Morgen ziehen wir weiter. Da, ein Bach! Maj läuft voran. Und Bungee? Bungee springt!

Gut zu wissen

Eseltrekking im Schwarzwald:

Weitere Informationen zu Tages- und Mehrtagestouren unter esel-trekking.blogspot.com

Für die Packtsche:

- „Esel. Ein Portrait“, wundervoll leicht und schwungvoll geschriebene Charakterologie und Kulturgeschichte des Esels.
Von Jutta Person, Matthes & Seitz Berlin, 2013

Über den Autor

Patrick Kunkel ist Reisejournalist aus Freiburg im Breisgau. Am liebsten erkundet er die Welt mit dem Fahrrad oder mit Wanderschuhen an den Füßen. Er lebt und arbeitet derzeit in Bilbao, Nordspanien und reist von dort regelmäßig in seine Lieblingsregion – den Schwarzwald. Folgen Sie Patrick auf Google+

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